Auf dem Foto sieht man zwei Frauen aus Papier, die Händchen halten.

Sexualität und Orientierung

Hier und queer: Drei junge Frauen im Interview

/ / Foto: Smit/shutterstock

Queer sein – das heißt Anderssein. Queer sein heißt Auffallen, von der Norm abzuweichen. Und queer sein bedeutet auch, Erfahrungen und Problemen zu begegnen, die nicht jeder Mensch macht oder machen muss. Wir von max neo haben uns mit drei queeren Frauen unterhalten.

Queer, das ist Laura B., die sich exklusiv zu Frauen hingezogen fühlt. Queer, das ist Lena P., die bisexuell und in einer Beziehung mit einem Mann ist. Und queer, das ist Ange M., die gar kein Label will und seit Neuestem in einer Beziehung mit einer anderen Frau ist. So unterschiedlich diese drei jungen Menschen auch sind, es gibt dennoch Themen, die den Alltag und das Selbstverständnis von all diesen queeren Frauen berühren.

I. Labels

Ein wichtiger erster Punkt für viele queere Menschen ist ihr Label. Ein Label ist praktisch ein Begriff, der die eigene Identität oder Sexualität genauer definiert. Das beginnt bei bereits bekannten Labels wie „homosexuell“, schließt aber eben auch bisexuell, pansexuell, oder einfach queer mit ein. Bereits die Entscheidung, ein bestimmtes Label zu benutzen – oder eben auch nicht – ist bereits ein sehr persönlicher Entschluss.

„Um das klassische Labelsystem zu benutzen, würde man sagen, dass ich lesbisch bin,“ sagt die Studentin Laura B., die sich nur zu Frauen hingezogen fühlt. „Aber wohler fühle ich mich eigentlich mit anderen Begriffen, weil ich das Label ‚lesbisch‘ allein schon vom Phonetischen her etwas unschön klingend finde. Also queer finde ich eigentlich passender.“

Die Studentin Lena P. dagegen definiert sich zwar auch als queer, aber spezifisch als bisexuell; sie fühlt sich also zu Männern und Frauen hingezogen. Diese Selbsterkenntnis hat allerdings etwas gedauert. Früher habe sie sich als „heteroflexibel“ bezeichnet; „weil ich immer dachte, bisexuell zu sein, heißt, man muss zu 50 Prozent auf Männer und zu 50 Prozent auf Frauen stehen.“ Das sei allerdings nicht so, erklärt Lena P. Auch wenn jemand „nur“ zu fünf Prozent am gleichen Geschlecht interessiert sei, oder auch andersherum, so könne die Person sich dennoch als bisexuell identifizieren.

Manche queere Menschen fühlen sich allerdings ohne Label am wohlsten. So geht es der Studentin Ange M. Sie bezeichnet sich selbst salopp als „labelfrei.“ Wenn jemand aus der queer Community dann genauer nachfrage, so Ange M., dann würde sie sich selbst als pansexuell bezeichnen. Pansexuell heißt, sich zu Menschen unabhängig von Geschlecht oder Gender hingezogen zu fühlen. Trotzdem findet sie Labels nicht immer sinnvoll: „Ich für mich persönlich halte dieses massive Labeling, wie es manche Leute betreiben, für nicht unbedingt korrekt.“ Dabei würden sich viele Menschen in eine Schublade drängen. „Andererseits,“ fügt Ange M. hinzu, „hilft es wiederum sehr vielen zur Identifikation. Von daher ist es auch etwas sehr Schönes, sich dann eben zugehörig zu fühlen durch so ein Label.“

Dazu kommt zudem, dass manche Menschen noch eine Unterscheidung machen zwischen romantischer und sexueller Orientierung. Eine Frau könnte etwa bisexuell und homoromantisch sein, das heißt, sie findet Männer auch anziehend, verliebt sich aber nur in Frauen.

II. Coming-Out

Nach dem Finden des eigenen Labels – ob nun queer, lesbisch, schwul, bi, oder labelfrei – folgt dann häufig der nächste große Schritt im Leben einer queeren Person: das Coming-Out. Oder zumindest ist so die Vorstellung vieler Menschen. Ein Coming-Out muss allerdings nicht immer eine große Sache sein.

„Es war nicht so, dass ich jetzt meine Freunde versammelt habe und gesagt habe: ‚Oh, ich muss euch was gestehen.‘ Ich bin damals zu meiner besten Freundin gegangen und hab gesagt: ‚Oh, im Übrigen, stell dir vor, ich hab’s endlich begriffen! Ich bin bi.'“ So erzählt Lena P. von ihrer Erfahrung mit Coming-Outs. Und das sei dann auch kein Problem gewesen. Eher habe sie den Eindruck, die meisten ihrer Freunde hätten das bereits vorher so ein bisschen begriffen. Vor ihrer Familie hat sich Lena P. allerdings noch nicht geoutet. Auch, weil es bisher noch keinen richtigen Anlass gab. „Ich warte irgendwie noch so ein bisschen auf den richtigen Moment.“

Ähnlich problemlos war es glücklicherweise bei Ange M.: „Ich hatte nie ein Coming-Out im klassischen Sinne, dass ich jetzt zu meinen Eltern gegangen bin und gesagt hätte: ‚Liebe Eltern, ich bin pansexuell, wollt ihr das erst mal googeln?'“ Generell kommt Ange M. aus einem sehr offenen Familienumfeld. Häufig, wenn sie mit ihrem Freund Probleme hatte, haben ihre Eltern gefragt, ob sie es nicht doch einmal mit einer Frau probieren wolle.

So läuft es allerdings leider nicht für jede queere Person: Laura B. hat viel Ablehnung aus der Familie erfahren, als sie sich als queer und exklusiv an Frauen interessiert geoutet hat. Viel Kritik und Unverständnis kam dort von ihrer Mutter. „Die erste Frage von meiner Mutter war: ‚Du möchtest doch jetzt kein Junge sein, oder?‘ Da war erst mal die komplette Unterscheidungsmöglichkeit nicht da zwischen (…) Geschlecht und Sexualität, und sie ist davon ausgegangen, wenn man auf Frauen steht, muss man ein Mann sein wollen.“ Das stimmt natürlich nicht.

Eine schwierige Erfahrung für einen heranwachsenden Menschen. Und Outing findet ja nicht immer nur im Familienkreis statt. Queere Menschen durchlaufen eine Serie von Coming-Outs, wann immer sie das Umfeld wechseln oder eine neue Person hinzukommt. Laura B. fühlt sich dann immer verpflichtet, ehrlich zu sein: sich selbst, aber auch dem Sichtbarmachen von nicht-heterosexuellen Identitäten.

Und selbst diese Verpflichtung ist nicht immer nur eine Wahl oder Option: Als queerer Mensch muss man sich auch dann outen, wenn man nur beispielsweise über den*die Partner*in sprechen möchte. „Dann kommt meistens ein komischer Blick, oder es kommt ein Gespräch auf,“ erzählt Laura B. Aber auch das fällt ihr teilweise schwer. Sie merkt selbst, dass sie sich aktiv nicht outet und aktiv nicht über ihre Beziehungssituation spricht, um eben diese Situationen zu vermeiden.

III. Stereotype

Ein Outing und Out-Sein resultiert eben auch in der Konfrontation mit solchen Dingen: Unverständnis, Homophobie, Vorurteile.

Laura B. wird häufig gesagt, dass sie nicht dem klassischen Bild einer Lesbe entspreche. Aber was soll das eigentlich sein? Man kenne aus den Populärmedien recht wenig, sagt Laura B. selbst. „Außer diesem Stereotyp der Motorrad fahrenden, tätowierten, kurzhaarigen Lesbe mit wallendem Achselhaar. Und klar, als erwachsen werdender Mensch möchte man natürlich nicht in diese Art von Stereotyp reinfallen.“

Auch Ange M. wurde schon mit einigen Vorurteilen konfrontiert: Allein bereits, als sie sich die Haare kurz geschnitten hat. Da wären dann solche Nachfragen gekommen wie „Ach, das ist ja aber schon recht maskulin. Hast du jetzt die Orientierung gewechselt?“ Zufälligerweise, so Ange M., sei das bei ihr auch so gewesen; zumindest nach außen hin. Für sie war es schon immer klar, dass sie sich zu allen möglichen Menschen und Gendern hingezogen fühlen kann. „Aber diese Klischees sind noch ziemlich stark vorhanden in der Gesellschaft.“

Klischees und Vorurteile sind oft spezifisch für jede Orientierung. Darum gibt es davon auch so viele, wie es Farben im Regenbogen gibt. Lena P. wird beispielsweise häufig gefragt, ob denn dann eine Person genug für sie sei, wo sie doch Männer und Frauen möge. Und was sagt sie dann auf so etwas? „Nein, ich brauche mindestens einen Harem von 100,“ meint Lena P. recht trocken. Das sei natürlich völliger Quatsch. Bei heterosexuellen Menschen würde ja auch niemand nachfragen, ob denn eine Frau oder ein Mann genug für einen seien.

Oft wird Lena P. auch gefragt – allein aufgrund ihrer sexuellen Orientierung – ob sie Lust auf einen Dreier hätte. In der Regel von Männern. Da winkt sie nur ab. „Sorry, aber ich bin einfach nicht nur dafür da, und meine Sexualität ist nicht dazu da, um deine pornographischen Fantasien zu erfüllen. Darum geht es mir dabei nicht.“ Trotzdem lässt sich Lena P. von Stereotypen und Vorurteilen nicht einschränken. Vielmehr wünscht sie sich, dass die Menschen sich selbst überprüfen und schauen, ob sie nicht in stereotypen Kategorien denken und handeln. Ganz loswerden könne man Stereotypen natürlich nie, meint Lena P., aber man kann anfangen, sie zumindest immer mal wieder zu hinterfragen.

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Autor*in: Milena Graf