Ein Mädchen hält eine Tafel hoch, auf der "not he, not she, just me" steht.

Gender und Diversität

Nicht-binär – ein Erfahrungsbericht

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Wer bin ich, und wenn ja, welche Pronomen verwende ich? Unsere Wahrnehmung des Geschlechterspektrums wird immer bunter und differenzierter – was definitiv etwas Gutes ist. Das betrifft auch nicht-binäre Menschen. Eine persönliche Perspektive von Milena Graf.

Bei der Genderidentität gibt es inzwischen nicht immer nur die Option männlich oder weiblich, sondern auch Trans-Menschen und Interpersonen. Und dann gibt es Menschen, die sich als zwischen den Geschlechtern oder komplett losgekoppelt vom Genderspektrum definieren. Das wird dann als nicht-binär bezeichnet und fasst all diese Identitäten außerhalb von binär männlich und weiblich mit ein. Das muss nicht immer einen biologischen Grund haben; das heißt, nicht jede Interperson definiert sich als nicht-binär, und nicht jeder nicht-binärer Mensch ist intergeschlechtlich. Mehr Infos zu all diesen Unterscheidungen findet ihr hier!

Aber wie ist es eigentlich, eine Identität abweichend von binär Mann oder Frau zu haben? Ich selbst identifiziere mich auch als nicht-binär, und manchmal kann es fast lustig sein. Besonders heutzutage, wo viel über geschlechtergerechte Schreibweise und Ansprache diskutiert wird. Häufig liegt den Diskussionen um etwa das Gendersternchen – also Redakteur*in – oder dem Gender:Doppelpunkt – also Redakteur:in – eine unausgesprochene Frage zugrunde: Ist das den Aufwand wert? Für wen machen wir das eigentlich? Da will ich immer gerne die Hand heben und sagen: Für mich! Hier, ich bin hier. Viel zu selten mache ich das dann tatsächlich. Ich will ja auch nicht immer auf meine Andersartigkeit hinweisen müssen. Aber in manchen Fällen muss ich das dann doch.

Er, sie, oder doch es?

Das fängt bereits bei Pronomen an. Wie will ich angesprochen werden? Im Deutschen gibt es eben nur wenige Optionen: entweder er oder sie – von es will ich gar nicht erst anfangen. Im Gegensatz zu Englisch: Da gibt es das singuläre they/them, welches von vornherein kein Geschlecht anzeigt. Und dann gibt es im deutschen Sprachraum noch den aktuellen Push zu Neo-Pronomen. Also Kunst-Pronomen, die nicht-binäre Identitäten auch mit einfassen sollen. Allerdings möchte auch nicht jede nicht-binäre Person diese verwenden. Schließlich muss man dann jedes Mal aufs Neue erklären, wie diese Pronomen funktionieren. Ich persönlich verwende sie/ihr, aber eher so, dass ich es vermeide, diese gegenderten Pronomen für mich selbst aktiv zu benutzen.

Ein weiteres Problem sind geschlechterspezifische Hauptwörter: Studentin, Redakteurin, Tochter. Auch damit fühle ich mich sehr unwohl. Immerhin gibt es hier bessere Alternativen als bei den Pronomen. Häufig formuliere ich Dinge dann so: Ich als Person. Ich als studierender Mensch. Oder sogar: Ich als Redakteur-Sternchen-In, also dass ich das Gendersternchen absichtlich mitspreche. Aber bei allen verbalen Verrenkungen und Vermeidungen korrigiere ich andere Menschen trotzdem meistens nicht, wenn sie weibliche Pronomen oder Wörter für mich verwenden.

They got the look

Das liegt auch daran, dass ich nach außen weiblich wirke. Dementsprechend drehe ich auch niemandem einen Strick daraus, falls das die erste Annahme über mein Gender ist. Natürlich gibt es nicht-binäre Menschen, die androgyn, also zwischen weiblich und männlich wirken, aber das ist nicht für alle eine Option. Für mich ist das viel Aufwand, den es mir meistens nicht wert ist. Außerdem funktioniert ein androgyner Look auch unterschiedlich gut für unterschiedliche Menschen – etwa, wenn man bereits etwas härtere oder weichere Züge hat, je nachdem, welches Geschlecht einem bei der Geburt zugewiesen worden ist.

Und nicht jede nicht-binäre Person will dieses androgyne Aussehen überhaupt. Genau wie auch nicht jede Transperson oder nicht-binäre Person Dysphorie hat.

Kontrolle und Außenwahrnehmung

Dysphorie bedeutet so etwas wie ein extremes Unwohlsein, das auch auf den Körper bezogen ist und mit dem erlebten Geschlecht zu tun hat. Hier entstehen vor allem Probleme, wenn bei Menschen das Gender nicht mit dem Körper übereinstimmt und das für sie oder die Menschen um sie herum wahrnehmbar ist. Ein Beispiel wäre ein Trans-Mann, der sich unwohl damit fühlt, wie sein Brustbereich aussieht. Mir geht es teilweise auch so: Ich habe kein Problem mit meinem Körper an sich – der sich ja sozusagen als weiblich „liest“ – aber ich finde es immer seltsam, wenn ich mir bewusst mache, dass mich Menschen allein aufgrund meines Körpers als weiblich abstempeln.

Dabei kommt auch ein sehr wichtiges Wort für nicht-binäre und Trans-Menschen auf: Misgendern. Das bedeutet, mit den falsch-gegenderten Worten oder Pronomen angesprochen zu werden, ob nun absichtlich oder nicht. Für Trans-Menschen ist das etwas, was ihnen sehr häufig passiert. Allerdings kann dies zumindest etwas weniger werden, wenn Trans-Menschen sich outen, sich wie das Geschlecht kleiden, dem sie sich zugehörig fühlen, oder auch korrektive Operationen haben.

Für mich als nicht-binäre Person ist das auch eine tägliche Realität. Eigentlich jeden Tag werde ich misgendert, nicht mit bösen Absichten natürlich, aber es fühlt sich trotzdem nicht gut an. Auch, weil es meinen Blick darauf richtet, wie wenig Kontrolle ich habe: Wie wenig ich etwas automatisch kommunizieren kann, das so tief an die Wurzeln meines Ichs oder meiner Identität geht.

Behelfsmittel

Ein Weg, die Kontrolle zurückzuerlangen, sind die bereits erwähnten Taktiken von Trans-Menschen. Diese gelten auch für nicht-binäre Menschen. Etwa eine Mastektomie ist eine Option für nicht-binäre Menschen, denen bei der Geburt das Label „weiblich“ zugewiesen worden ist. Das ist eine operative Entfernung des Brustgewebes. Das kann allerdings teuer werden: Die Kosten hierfür liegen zwischen 3500 und 8000 Euro, wenn man die Operation selbst zahlen will. Teils übernehmen das jedoch auch die Krankenkassen.

Eine weitere, weniger permanente Option ist ein Binder. Das ist praktisch eine stärkere Variante eines Sport-BHs, die im Brustbereich alles wegdrückt. Das ist auch eine Option, die ich selbst schon häufig erwogen habe. An diesem Thema sieht man auch die starke Überschneidung von Themen für Trans- und nicht-binäre Menschen; viele Probleme überlappen sich. Trotzdem habe ich bisher einen Unterschied gemacht zwischen Trans- und nicht-binären Menschen. Und das mit Absicht: Manche nicht-binäre Menschen definieren sich selbst als trans – also ja als abweichend vom biologischen Geschlecht bei der Geburt – aber manche eben auch nicht. Wie eigentlich alles, was das Thema Identität und Gender angeht, ist dies so vielfältig, wie es Trans- und nicht-binäre Menschen gibt. Das heißt: Wenn ihr noch unsicher seid, ist es im Zweifelsfall immer gut, offen und interessiert zuzuhören. Denn das ist es eigentlich, was sich alle Menschen wünschen, die von der Cisgender-Norm abweichen.

Als letzten Punkt möchte ich hier noch einen Disclaimer anbringen: Meine Erfahrungen als nicht-binäre Person sind eben genau das – meine eigenen Erfahrungen – und es gibt sicherlich nicht-binäre Menschen, die ihre Identität ganz anders definieren, leben, und auch er-leben.

Hier findet ihr mehr aktuelle Beiträge – auch zu diesem Thema.

Autor*in: Milena Graf