Das Foto zeigt ein schwarzes Mädchen, das Fulani Zöpfe (geflochtene Zöpfe) trägt.

Darf ich das?

Debatte um kulturelle Aneignung

/ / Foto: Shutterstock/Anton Ivanov

Weiße Personen mit Dreadlocks und japanische Familien in bayerischer Tracht? Das geht gar nicht, sagen die einen. Während kulturelle Aneignung für einige Menschen ein Zeichen von Vielfalt ist, sehen die anderen ein ernsthaftes Problem.

Jedes Land hat seine eigenen Kulturen und Traditionen. Manchmal unterscheiden sie sich auch innerhalb einzelner Regionen. Doch was ist, wenn Außenstehende Teile der fremden Kultur auf einmal für sich selber übernehmen? Mit dieser Frage befasst sich die Diskussion rund um die sogenannte kulturelle Aneignung.

Bedeutung

Die kulturelle Aneignung ist die Übernahme einiger Bestandteile einer anderen Kultur für sich selbst. Das kann Kleidung, Musik, Essen, aber auch Kunst betreffen. Kritik erfolgt meistens dann, wenn es sich um die Kultur einer Minderheit handelt. Das sind Bevölkerungsgruppen, die in sozial, politisch, wirtschaftlich, oder militärisch unterdrückt werden. Die populärsten Beispiele hierfür sind Dreadlocks oder Braids der schwarzen Kulturen.

Kritik an kultureller Aneignung

Kritiker*innen sehen vor allem bei Bevölkerungsgruppen ein Problem, die stark von Rassismus betroffen sind. Sie sagen zum Beispiel, dass viele Leute Dinge aus der schwarzen Kultur übernehmen, ohne die damit verbundene Diskriminierung erfahren zu müssen. Dreadlocks zum Beispiel kommen zwar in mehreren Kulturen vor, aber besonders bei der Rastafari-Bewegung der 30er, oder auch der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 50er, waren sie ein Zeichen des Widerstands gegen die Weißen.

,,Bo Derek Braids“

Ebenfalls wird kritisiert, dass schwarze Kultur durch weiß gelesene Menschen vermarktet wird. Anfang der 80er beispielsweise trug die US-amerikanische Schauspielerin Bo Derek in dem Film ,,10 – Die Traumfrau“ Braids mit Muscheln. Dadurch wurde die Frisur berühmt und die geflochtenen Strähnen zum Trend. Erst vor ein paar Jahren betitelte die US-Reality-TV-Darstellerin Kim Kardashian ihre Frisur als „Bo Derek Braids“ und erntete dafür heftig Kritik. Denn diese vermeintlich bis dahin namentlich unbekannten Braids heißen eigentlich ,,Fulani Zöpfe“. Sie werden von dem traditionellen Volk der Fulbe getragen, die in der Sahel-Zone Afrikas leben. Die Zöpfe sind nicht nur ein Kopfaccesssoire, sondern waren damals auch ein Teil der Kommunikation. Heute noch kann mit Hilfe der Braids auf die Herkunft und den sozialen Stand geschlossen werden.

Das Foto zeigt Kim Kardashian bei den MTV Movie and TV Awards 2018. Sie trägt
Kim Kardashian bezeichnete ihre Zöpfe als „Bo Derek Braids“ und erntete dafür einen Shitstorm. Foto: Shutterstock/Tinseltown

Weitere Kritiken

Kritiker*innen verteufeln außerdem die Kommerzialisierung von Kulturen. Zum Beispiel, wenn Vertreter*innen dominanter Gesellschaften eine Dienstleistung einer Minderheitenkultur übernehmen und damit Profit machen. Die eigentlichen Urheber*innen gehen dabei meistens leer aus.

Vielleicht doch kultureller Austausch?

Die Befürworter*innen kultureller Aneignung nehmen Abstand von dem negativ behafteten Wort ,,Aneignung“. Es wird dann von einem kulturellen Austausch gesprochen. Laut ihnen ist Kultur kein starrer, unbeweglicher Begriff, sondern dynamisch. Die Kulturen beeinflussen sich nämlich gegenseitig. Das fördert unter anderem Vielfalt und bringt unterschiedlichen Menschen andere Traditionen und Gebräuche näher.

Kompromisslose Kritik als Gefahr

Die Literaturwissenschaftlerin Anja Hertz erkennt in der kompromisslosen Kritik der Gegenseite auch die Gefahr, das Bild einer klar trennbaren Kultur zu vermitteln. Es würde einer Welt gleichtun, in der Kulturen zwar koexistieren, sich aber nicht vermischen dürfen. Das ähnle laut Hertz einer stark rechten Position.

Ein weiteres Argument ist, dass viele Minderheitenkulturen es nicht als etwas Negatives empfinden. Im Gegenteil: Viele Bevölkerungsgruppen freuen sich darüber, wenn eine kulturfremde Person sich für ihre Kultur begeistert. Hierbei sprechen die Befürworter*innen von einer Bereicherung aus Bewunderung und ohne böse Absichten.

Oft kein genauer Kulturhintergrund

Hinzu kommt, dass heutzutage teilweise nicht mehr nachvollzogen werden kann, woher bestimmte Traditionen ursprünglich stammen. Dreadlocks zum Beispiel wurden unter anderem auch von den Perser*innen, Aztek*innen, Tatar*innen und sogar von den Kelt*innen getragen.

Respektvoller Umgang

Die Debatte rund um die kulturelle Aneignung umfasst noch viele weitere Pro- und Kontra-Punkte. Am Ende ist es wichtig, dass sich beide Parteien mit Respekt gegenübertreten. Aber auch die genannten Kulturen und deren Menschen sollten stets mit eingebunden werden.

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Autorin: Tina Schabenstiel