Das Albumcover "i used to think i could fly" von Tate McRae zeigt die Sängerin, wie sie auf einem brennenden Flugzeugflügel. Die Kameraperspektive ist von oben. Im Hintergrund sind Straßen, Wiesen, Autos und Häuser von oben zu sehen.

CD der Woche

Tate McRae mit „i used to think i could fly“

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Als würde man über all die komplizierten Gefühle im Tagebuch einer Gleichaltrigen lesen – so muss sich das Debüt Album von Tate McRae für frischgebackene Erwachsene anfühlen. Die 18-jährige McRae drückt schon mit dem Titel „i used to think i could fly“ aus, was viele in diesem Alter fühlen. Textlich und musikalisch. Unsere CD der 26. Kalenderwoche ist „i used to think i could fly“ von Tate McRae.

Es tut weh, erwachsen zu werden. Denn da ist die Enttäuschung darüber, dass sich Freundschaften und Beziehungen verändern. Dass jede*r und alles anders ist, wie gedacht. McRae packt diese gesamte Gefühlswelt mit all ihren Erfahrungen der spannenden Zeit in die Songs der neuen Platte, das hört man ihrer Stimme an. Dazu kommen oft gezupfte Akustikgitarre und Klavier. Manchmal erinnert McRaes Sound auch an den von Avril Lavigne.

„i used to think i could fly“ ist nicht neu, aber ehrlich

Mit dem Thema und dem Sound von „i used to think i could fly“ hat Tate McRae das Rad sicherlich nicht neu erfunden, siehe Olivia Rodrigo oder Billie Eilish. Aber McRae ist ehrlich. Schließlich schreibt sie über das, was sie am besten kennt: sich selbst und ihre Beziehungen zu anderen Menschen. Und das kann sie sicherlich besser als die meisten anderen in ihrem Alter. Kein Wunder, mit Musik kennt sich die Kanadierin seit Kindesbeinen aus.

Tate McRaes Karriere beginnt ganz anders, als man es von einer Sängerin erwarten würde. Ihre ersten Preise räumt sie bei Tanz-Wettkämpfen ab. Auf ihrem YouTube Kanal veröffentlicht sie früh Tanzvideos. Und dann 2017, mit gerade einmal 14 Jahren, auch ihren selbstgeschriebenen Song „one day“. Er wird 38 Millionen Mal geklickt. Es folgt ein Vertrag mit dem Label RCA und ihre erste EP „all the things i never said“ im Jahre 2020. Sie arbeitet mit Billie Eilish und deren Bruder Finneas zusammen. Der ein oder andere kennt ihre Stimme vielleicht auch von „you broke me first“, einem Song, der im ersten Lockdown veröffentlicht wurde, auf TikTok beliebt war und mit dem McRae ihren internationalen Durchbruch feierte.

Suche nach der eigenen Stimme

Nach Los Angeles ziehen und die eigene Karriere starten – klingt nach einem Traum für die meisten von uns. Für Tate McRae fühlte sich diese Situation ganz anders an. „Niemand sagte, dass Veränderung so anstrengend sein würde“.

„Es ist so deprimierend. Das ist der erste Song, der mich tatsächlich zum Weinen gebracht hat. Ich bin nach L.A. gezogen und das erste Mal von meiner Familie weggezogen. Ich habe jede Menge Mist erlebt. Ich bin dorthin gezogen und hatte meinen ersten Liebeskummer. Meine Psyche war am Boden. Es fühlt sich an, als hätte ich damals eine Identitätskrise gehabt. Ich hatte keine Idee, wer ich gerade bin. Ich hatte lange nichts mehr geschrieben, was sich authentisch anfühlt, weil ich Songs mit Produzent*innen geschrieben habe, die sich nicht wie meine Songs angefühlt haben.“

– Tate McRae

Als sie in dieser deprimierenden Zeit den Song „chaotic“ schreibt, der auf der neuen Platte zu finden ist, fühlt sich Tate McRae erleichtert. Mit „chaotic“ scheint die Künstlerin ihre eigene Stimme wiedergefunden zu haben.

Heute arbeitet McRae auch mit anderen Künstler*innen zusammen, wie Finneas O’Connell. Mit ihm hat sie am Song „i still say goodnight“ geschrieben. McRae wollte, dass der Song wie das Ende eines Films klingt. Für sie ist das „Gute Nacht sagen“ eines der letzten Dinge, an die man sich hoffnungsvoll in einer endenden Beziehung festhält.

„Es war wirklich cool, im Studio mit ihm zu sein. Wir haben als Menschen einfach gut harmoniert.
Wir hatten wirklich gute Gespräche und dann hat er sich einfach ans Klavier gesetzt und angefangen, diese wirklich eindringlichen Akkorde zu spielen. Er hat gesagt: ‚Fang an zu singen!‘ Und das habe ich gemacht. Ich denke, das Letzte, woran du in einer Beziehung festhältst, ist dass du ‚Gute Nacht‘ zu einer Person sagst. Es ist herzzerreißend, wenn du die einzige Person bist, die ‚Gute Nacht‘ sagt, denn dann hast du noch Hoffnung, an die du dich klammerst.“

– Tate McRae

Tränen für „i used to think i could fly“

McRaes Songs sind zwar oft melancholische Balladen, aber ihr Leben scheint aus der Ferne betrachtet perfekt. Dass es das nicht ist, gibt sie offen zu. Sie erzählt, dass sie manchmal ihre Beziehungen sabotiert, um sich selbst davon abzuhalten, den Menschen nahe zu kommen. Über diese Angewohnheit denkt die 18-Jährige in dem Song „hate myself“ nach. Was gut klingt, hat sich für sie schrecklich angefühlt. Mitten in der Nacht, mitten im Liebeskummer, schreibt sie weinend den Song. Ein Kumpel drängt sie dazu. Es sei hart gewesen, aber letztendlich war der Schreibprozess wie eine Therapie für McRae.

„Es war wirklich hart. Es ist verrückt, weil das dieser eine Song auf dem Album ist, wo du hörst, wie meine Stimme versagt, weil ich wirklich geweint habe. Ich hatte richtig, richtig Liebeskummer. Wir waren bis morgens um vier im Studio. Der Song beschreibt, wie ich mich gefühlt habe. Für mich war es tatsächlich wie eine Therapie, über das Thema zu schreiben, aber es war schwer. Oft macht man sich selbst zu einem Opfer in seinen Songs, aber bei diesem Lied konnte ich das nicht.“

– Tate McRae

Erwachsen werden

Eine Zusammenfassung des Albums – so könnte man den Song „go away“ bezeichnen. Auch der Albumtitel „I Used to Think I Could Fly“ taucht in „go away“ auf. Die Zeile bedeutet McRae viel:

„Ich denke wirklich, dass der Song meine Idee des Albums zusammenfasst. Weißt du, wenn du jünger bist, denkst du, alles ist möglich. Und ich habe das Gefühl, wenn du erwachsen wirst, schlägt dir die brutale Realität des Lebens manchmal ins Gesicht.“

– Tate McRae

Tate McRae ist nicht nur traurig, sie ist auch wütend. Wie in dem Song „i am so gone“, in dem sie einem Menschen endgültig den Rücken kehrt und nichts mehr mit ihm zu tun haben möchte. Tatsächlich sei sie die meiste Zeit auf dem Album wütend gewesen. Würde sich unsere Wut nur einmal so anhören wie die von Tate McRae…

„Ich denke, wenn du die Person bist, um die es geht, willst du den Song nicht hören. Aber als Komponistin willst du auch nicht sehen, wie diese Person auf den Song reagiert. Alles, was ich schreibe, lasse ich am Ende offen, denn ich würde niemals einer Person sagen, dass der Song von ihr handelt. Ich denke, im wahren Leben bin ich eine herzliche Person. Über den richtigen Mist schreibe ich dann. Ich war einfach nur wütend. Auf diesem Album war ich oft angepisst. Ich denke, das hört man an den Texten.“

– Tate McRae

Autorin: Miriam Jordan